N. Priesching: Von Menschenfängern und Menschenfischern

Cover
Titel
Von Menschenfängern und Menschenfischern. Sklaverei und Loskauf im Kirchenstaat des 16.–18. Jahrhunderts


Autor(en)
Priesching, Nicole
Reihe
Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 10
Erschienen
Hildesheim 2012: Olms Verlag - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung
Anzahl Seiten
541 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Wolfgang Reinhard, Geschichte, Fellow, Max-Weber-Kolleg, Erfurt

Kern der Arbeit ist die Auswertung des von Pagano bereits erschlossenen Bestands Arciconfraternità del Gonfalone im Vatikanarchiv für den von dieser Bruderschaft durchgeführten Freikauf christlicher Sklaven von den Moslems in Algier, Tunis und dem montenegrinischen Korsarennest Dulcigno / Ulcinj zwischen 1585 und 1805 mit ausführlichen Personenlisten im Anhang. Gregor XIII. hatte die Bruderschaft auf Betreiben des Kardinals Santori damit beauftragt und Sixtus V. sie als Hauptgeldquelle mit ablassflankierten Privilegien zum Almosensammeln ausgestattet. Die Gründe bleiben unklar, denn es gab dafür ja längst den Orden der Trinitarier, der viel effizienter arbeitete. Zeitweise versuchte die Erzbruderschaft ihr Monopolprivileg gegen diesen Orden zu verteidigen, zeitweise arbeitete sie erfolgreich mit ihm zusammen. Insgesamt hat sie ca. 1000 Sklaven befreit, die Trinitarier brachten es allein 1720 auf 431. Die Bruderschaft, deren komplizierte Entstehungsgeschichte ausführlich untersucht wird, widmete sich von Haus aus den üblicheren Werken der Frömmigkeit und Barmherzigkeit, denen die neue Aufgabe nicht zum Schaden gereichen sollte. Nur etliche Dutzend ihrer rund 1000 vornehmen Mitglieder interessierten sich überhaupt dafür. Im Gegensatz zu den Trinitariern gingen die Brüder auch nicht selbst vor Ort, sondern arbeiteten durch Mittelsmänner, vor allem Kapuziner, weil diese ohnehin mit Niederlassungen und Hospizen in muslimischen Städten vertreten waren. Ein besonders bemerkenswerter Fund ist das S. 391–426 ausführlich paraphrasierte Tagebuch der Loskaufaktion, die ein Kapuzinerpater im Frühjahr 1729 für die Bruderschaft in Tunis durchführte. Die dreimonatige Feilscherei war nur mit der Hilfe von Mittelsmännern möglich, des kaiserlichen, des französischen und bemerkenswerterweise nicht zuletzt des englischen Konsuls sowie der verschiedensten Geschäftsleute, darunter auch Renegaten. Berührungsängste gab es offensichtlich längst keine mehr, hingegen durchaus auf das Freikaufgeschäft spezialisierte Agenten. Den Mitgliedern der Bruderschaft zu Hause ging es laut der Verfasserin dabei zuerst um einen Beitrag zum eigenen Seelenheil. Ihre Loskaufaktivität fand vielleicht deswegen in Schüben statt, die manchmal durch Jahrzehnte voneinander getrennt waren. Nichtsdestoweniger war das Freikaufen nur bei den Christen organisiert, während es bei den Moslems eher gelegentlich stattfand. Aber es war dort wahrscheinlicher freigelassen zu werden, wenn man sich zur Religion der Herren bekehrte. Daher die vielen Renegaten. Die Taufe berechtigte demgegenüber nicht zur Freilassung; getaufte Galeerensklaven wurden anscheinend nur besser behandelt. Sie gelangten auch nur selten in die römische Casa de catecumeni e neofiti – kein Wunder, denn damit wären sie ja ihrer Arbeit entkommen. Nur 10% der getauften Muslime waren Galeerensklaven. Angehörige der eigenen Religion neu zu versklaven, war aber hier wie dort verboten.

Vorgeschaltet sind drei Kapitel, von denen das erste nach der Literatur einen kursorischen Abriss der Sklavenfängerei von Korsaren und Piraten im Mittelmeer bietet. Auf der einen Seite die Osmanen und die Barbaresken von Algier, Tunis und Tripolis, auf der anderen die Malteser und toskanischen Stefansritter, die Genuesen und Venezianer, die Spanier und Franzosen, die Engländer und Niederländer und zum Schluss die päpstliche Flotte, die meistens aus höchstens fünf Galeeren bestand. Das zweite Kapitel behandelt die spätscholastische Diskussion über die Indios von Vitoria bis Suárez, die nur das nicht eben neue Ergebnis abwirft, dass Versklavung von Gefangenen aus gerechten Kriegen als legitim galt, also auch aus dem ständigen Glaubenskrieg im Mittelmeer. Demgemäss verwerfen die päpstlichen Verlautbarungen 1435–1839 die Sklaverei als solche ganz und gar nicht. Das dritte Kapitel stellt das Leben der Galeerensklaven der Papstflotte nach Quellen aus dem Fondo Camerale des Römischen Staatsarchivs dar, die allerdings nur zum Teil von der Autorin erhoben wurden. In beträchtlichem Umfang greift sie auf Transkriptionen von Tupputi zurück (12, 491), was nicht ohne Folgen blieb. Nur bei den Maltesern waren die meisten Ruderer Sklaven, bei der Papstflotte und anderswo überwogen die Sträflinge. Immerhin wurde nicht ununterbrochen gerudert, sondern die Schiffe liefen längere Zeit unter Segel, ausserdem verbrachten die Sklaven viel Zeit an Land in so genannten «Bagnos», die sich auf beiden Seiten des Mittelmeers glichen. Besonders bemerkenswert ist dabei die religiöse Toleranz. Muslime hier und Christen dort hatten ihre Vorsteher bzw. Seelsorger, Kultstätten und Friedhöfe. In Livorno gab es sogar eine Moschee. Wenn der «heilige Eifer» einer Seite einmal überhandnahm, genügten briefliche Beschwerden, um auf der Gegenseite Repressalien auszulösen und damit das Gleichgewicht der Koexistenz- Toleranz wiederherzustellen. An und für sich ein erfreulicher Zustand, der aber auch den Primat der politischen und ökonomischen Interessen erkennen lässt; Theologie diente meist nur zur ideologischen Legitimation.

Die Arbeit bringt neue Erkenntnisse, bleibt aber leider ziemlich anfechtbar. Erstens ist sie wegen ihrer begrenzten archivalischen Grundlage ungleichgewichtig ausgefallen. Auf der einen Seite geht es um die Befreiung aller Arten christlicher Sklaven, auf der anderen wird nur die Minderheit der muslimischen Staatssklaven auf den Galeeren untersucht. Die muslimischen Privatsklaven im Kirchenstaat hätten sich wahrscheinlich über Notariatsarchive erfassen lassen. Aber das war wohl zu viel Arbeit. Zweitens lässt die sprachliche und sachliche Sorgfalt oft arg zu wünschen übrig. Allgemein werden Eigennamen unbesehen in der verballhornten italienischen Form übernommen, andere zusätzlich von der Verfasserin «beschädigt»: der Singular «die Gonfalone», der die Marienfahne der Bruderschaft oder diese selbst als Einzahl bezeichnen kann, verwandelt sich unter der Hand in einen Plural, mit dem deren Mitglieder gemeint sind (235 u. ö.). «Skipion Borghese Cafarelli» (212) hiess nicht so, der «hl. Luigi Conzaga» (sic!) von 223 ist 224 ebenso unzutreffend der «hl. Louis de Gonzague» geworden usf. Die Verfasserin versäumt es ferner, sich in Hinblick auf die angeblich abnehmende Bedeutung der Galeeren mit den verschiedenen Schiffstypen auseinanderzusetzen. Ausserdem kapituliert sie vor der Vielfalt der für den Loskauf verwendeten Währungen (394), obwohl ein Ansatz zum Wertevergleich vorhanden wäre (419). Weiter (nur eine Auswahl): Chirografi sind Zahlungsanweisungen, keine päpstlichen Rundschreiben (12). Die Malteserritter waren verpflichtet, an einer bestimmten Anzahl von Korsarenexpeditionen (Caravane) teilzunehmen (47–51). Eine «flämische» Marine gibt es nur im Italienisch der Zeit, gemeint ist die niederländische (61). Weltliche Papstnepoten bekleideten das Flottenkommando mit seinen Erträgen ausschliesslich als Pfründe (81–83, 160). Gregor XVI. verurteilte 1839 nur den Sklavenhandel, nicht aber die Sklaverei als solche; dabei handelte es sich offensichtlich um ein Zugeständnis an die britische Politik der Zeit, der Impuls kam also nicht aus der katholischen Kirche (150–153). Dass die Verfasserin auch die Galeerensträflinge als Sklaven betrachten will, liesse sich mit dem schwungvollen Handel mit Sträflingen rechtfertigen, den deutsche Fürsten und Städte mit Venedig und vielleicht auch mit dem Kirchenstaat trieben (159–161). Der Name «Magalotti» von einer Taufe in Ferrara 1628 ist derjenige des damaligen Bischofs (165). Mit der Kirche «Santo Apostolo» muss «SS. Apostoli» gemeint sein (309). Ein spanischer «padre di Santo Gironimo» ist ein Hieronymit, kein Somasker (349), usf. Schade!

Zitierweise:
Wolfgang Reinhard: Rezension zu: Nicole Priesching, Von Menschenfängern und Menschenfischern. Sklaverei und Loskauf im Kirchenstaat des 16.–18. Jahrhunderts (Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit, Bd. 10), Hildesheim, Olms, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 696-697.